Sonntag, 10. Oktober 2010

Über das eine Drittel und andere

In Deutschland hat man das Gefühl, der Sommer schraubt sich mit Macht in die Höhe, bis er zusammenklappt. Plötzlich ist es ungemütlich, nass und kalt. Wir nennen es Herbst. Wir sind dankbar, wenn der Herbst den Platz des Sommers einnimmt und uns ein paar strahlende Tage mit klarer Luft und rot-gelb leuchtenden Bäumen schenkt. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass nun jemand anders das Feld übernehmen wird: der Winter. Das Jahr geht zuneige. Das Wetter wird unablässig ungemütlicher.

In Korea scheint ab irgendeinem Punkt die Jahresuhr rückwärts zu laufen. Als ich in Incheon landete, schlug mir nass-heiße Luft entgegen. Wie in den Tropen. Um Chuseok (Erntedankfest) herum regnete es sehr stark. Die Flüsse traten über die Ufer. Viele Straßen waren zeitweilig überschwemmt. Als der Regen aufhörte war die Luft plötzlich frisch und klar. Die Nächte sind jetzt kalt, aber tagsüber in der Sonne ist es richtig warm. Perfektes Wetter. Richtig Frühlingshaft. Weder zu kalt, noch zu heiß. Nur ein paar Blätter beginnen sich rot zu färben und decken die Identität des Herbstes trotz der Frühlingsgefühle auf.
Ich mag beides. Den deutschen Herbst und den zweiten Frühling vor dem Winter in Korea.

Inzwischen habe ich hier zwei Kirchen besucht, die sehr unterschiedlich sind. Ich war sehr gespannt auf die koreanische Kirchenwelt. Ca. ein Drittel der Koreaner bezeichnet sich als religionslos, die anderen zwei Drittel nehmen das Christentum und der Buddhismus ein. Anders als in Deutschland sind Christen also nicht Anhänger der Standardreligion. Das hat zur Folge, dass man hier unglaublich viele Missionare trifft. Alte Leute, die Lautsprecher auf ihre Fahrräder klemmen, durch die Stadt fahren und laut Predigten abspielen; Frauen die Menschen in U-Bahn anquatschen und über Gott reden wollen; christliche Chöre in der Fußgängerzone und hübschen Mädchen, die Sonntags morgens vor unserem Wohnheim die Studenten zu Gottesdiensten einladen. Das ist so bemerkenswert, wie penetrant. Mehrere koreanische Freunde haben mir bereits in Deutschland erzählt, dass sie sich von den Christen in ihrem Land ziemlich unter Druck gesetzt und bevormundet fühlen. Ähnliche Erfahrungen kann man mit Sicherheit auch in Deutschland machen. Es menschelt überall.

Die erste Kirche, die ich kennenlernte, ist eine kleine eher traditionell-evangelische Kirche. Den Namen kann ich mir nicht merken. Es sind jeden Sonntag geschätzt 150 Leute im Gottesdienst. Meist werden amerikanische Choräle mit koreanischem Text gesungen. Alle Lieder leitet ein Dirigenten, der vorne steht und die Gemeinde führt. Begleitet wird der Gesang von einem Streicher-Trio und Klavier. Ein Vietnamese, der auf meinem Flur wohnt, hatte mich dorthin eingeladen. Er kennt die Gemeinde, weil er von Mädels vor unserem Wohnheim dorthin eingeladen wurde. Jeden Sonntag holt ihn nun jemand aus der Gemeinde mit dem Auto ab. Also fuhren wir zusammen zur Kirche. Was ich erst nach dem Gottesdienst erfuhr, wir würden erst spät Abends wieder zum Campus gebracht werden. Was wir den ganzen Tag in der Gemeinde sollten, verstand ich nicht ganz, aber dem Vietnamesen schien es so zu gefallen. Direkt nacht dem Gottesdienst gehen alle Jugendlichen in einen Raum, wo einer der Gemeindeältesten mit ihnen über die Predigt spricht. Man sing Lieder zusammen und erzählt, wie man Gott in der letzten Zeit erlebt hat. Es hat mich echt beeindruckt, dass alle so locker und interessiert dabei waren. Meine Aufmerksamkeit war nach dem zweistündigen Gottesdienst nur noch schwer zu halten. Allerdings ist es auch etwas anstrengender immer auf einen Übersetzer angewiesen zu sein. Auch die Kinder sind den ganzen Gottesdienst über bei den Erwachsenen und werden mit Bilderbüchern und Snacks bei Laune gehalten. Wir für die Jugendlichen, findet die Kinderstunde anscheinend erst nach dem Gottesdienst statt. Als der Jugendkreis nach ca. 45 Minuten zu ende war, gab es Mittagessen. Dann begann die lange Zeit des Wartens. Mein Mitbewohner erklärte mir später, dass es in vielen Gemeinden üblich sei, den ganzen Sonntag in der Kirche zu bleiben. Viele Musikgruppen üben dann, Leiterkreise nutzen die Zeit für Meetings. Wir jungen-Erwachsenen hingen eigentlich nur rum, guckten die Castingshow „Superstar K“ und suchten immer wieder nach neuen Gesprächsthemen. Der Vietnamese spricht schon sehr gut Koreanisch, aber kaum Englisch. Irgendwann schlief ich. Um sechs gab es dann Abendessen und um sieben einen Abendgottesdienst, der wieder für mich simultan gedolmetscht wurde. Die Leute sind wirklich herzlich, aber auf Dauer werde ich einen internationalen Gottesdienst besuchen. Beim Dolmetschen bekommt man doch eher nur die kalten Fakten der Predigt mit; das meiste, das Aufmerksamkeit weckt und Charme bringt geht verloren. Bei Gebeten und Liedern, in denen man nur die Worte Gott und Jesus versteht, fühlt man sich eher als Zuschauer und nicht wie ein Teilnehmer.

Heute war ich zum ersten Mal in einem internationalen Gottesdienst. Die Gemeinde ist ganz in der Nähe und heißt Sae Eden (Neues Eden). Das Gebäude ist 8-Stöckig, es gibt einen Büchertisch, mehrere Gottesdienstsäle, Bankautomaten, Sportpläze im Innenhof, Cafes und sogar ein „medical center“ (keine Ahnung, was sie mit Ihren Gemeindemitgliedern alles anstellen...). Die Gemeinde hat wohl an die 30 000 Mitglieder und ist eine presbytherianische Kirche. Um die genaue Uhrzeit des englischen Gottesdienstes zu erfahren, musste ich nur den Informationsschalter finden. Dort gaben mir drei Damen in pinken Uniformen die nötigen Informationen und riefen gleich eine Frau herbei, die gut englisch spricht. Sofort wurde meine Handynummer notiert, damit... ja warum eigentlich? Auch in der anderen Gemeinde wollte man sofort meine Nummer. [Ich habe schon zig-tausend Leute in meinem Telefonbuch. Die Namen reichen von „Mo Lotteworld“, über „Jol soccer int trade“ bis zu „same cellphone guy“ und „wie heißt sie“.] Aber zurück zum internationalen Gottesdienst. Dieser entpuppte sich eher als englischer Bibelkreis, aber hat mir trotzdem gut gefallen. Wir singen Lieder, die ich kenne und verstehe; die Predigt ist kurz und knackig. Die meisten sind Koreaner, die gerne Englisch sprechen, oder besser Englisch sprechen wollen. Ein Philippino ist dabei, das hat mich voll gefreut. Der Pastor ist sehr herzlich und kann sogar Deutsch, weil er einige Jahre in Tübingen studiert hat.

Mein Mitbewohner ist übrigens echt cool! Er ist ein Hyung – älterer Bruder – und wirklich unkompliziert. Er kann ordentlich Englisch, aber gibt nicht auf, Koreanisch mit mir zu reden. Dafür bin ich sehr dankbar. Mehr über ihn und über das Wohnheim, dass wirklich was von einem goldenen Käfig hat, erzähle ich vielleicht nächstes Mal.

Bevor ich schließe noch eine Ankündigung. Von nun an werde ich jedesmal ein koreanisches Lied vorstellen, dass mir hier begegnet. Ich beginne mit meinem Lieblingskünstler: Jangiha. Er hat einen ganz eigenen Style und tritt oft mit zwei Damen auf, die Sonnenbrillen tragen und niemals lächeln: Die Mimi Sisters. Man weiß nicht, wo sie herkommen. Manche munkeln, sie seien Japanerinnen. Im Refrain des Lieds, das ihr hier hören könnt, singt er: Der Mond wird voll. Lasst uns gehen. Viel Spaß:



Liebe Grüße,
euer Jonathan

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